Franz Kinker

Geschichten vom Bio Bauern aus dem Allgäu


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Heute sondiere ich!

Anfang November. Ein grauer, kalter Morgen. Nebelschwaden ziehen umher. Die Stallarbeit ist für´s erste vorbei. Meine Frau, die Irmi und ich, sitzen am Frühstückstisch. So richtig gesprächig ist noch keiner. Es waren ja auch keine besonderen Vorkommnisse im Stall. Nach der ersten Tasse Kaffee erwachen die Lebensgeister. Irmi blickt während der Zeitungslektüre ganz nebensächlich zu mir hinüber und stellt beiläufig die Frage: „Was tust du denn heute so?“
Die Motivation für den heutigen Tag ist nicht die beste. Das habe ich schon beim Aufstehen bemerkt. Allerdings möchte ich mir nicht die Blöße geben, dass ich keinen Bock habe. Nach einer kurzen Denkpause kommt die spontane Antwort: „Heute sondiere ich!“

Irmi hält kurz inne. Ihr erstaunter Blick über den Rand der Zeitung sagt mir, dass sie mit einer so hochqualifizierten, präzisen Erwiderung ihrer Frage nicht gerechnet hat.

Nach meiner Aussage wusste sie zwar genauso viel wie vorher, denn das Wort „Sondieren“ ist ja erst seit kurzer Zeit in aller Munde. Früher, da sondierte keiner, höchstens mal ein Arzt, der an einem Patienten herumstocherte.

Heutzutage sondieren die höchsten Politiker unseres Landes im stillen Kämmerlein, und zwar wochenlang. Keine Tagesschau vergeht, ohne dass nicht davon gesprochen wird. Meist sind die Ergebnisse mager, genauso wie an dem Tag, als ich sondierte.

Wie man richtig sondiert

Meine ersten Schritte nach dem Frühstück führen mich ins Büro. Die E-Mails abfragen, und bei Facebook nachsehen, was draußen in der Welt bei meinen Freunden und Bekannten alles passiert. Ein unliebsames Formular, das ich ausfüllen soll, schiebe ich erst mal zur Seite. Das kann noch warten, und zwar auf den Tag, an dem mein Laune-Pegel wieder am obersten Rand steht. Des Weiteren steht das Markieren eines neugeborenen Kälbchens auf dem Programm, die Klauenpflege einer Kuh, die vermutlich einen kleinen Stein eingetreten hat, die Reparatur eines Stuhles aus der Ferienwohnung und noch viele kleine Arbeiten, die getan werden müssen, von denen man am Ende des Tages aber nichts sieht.

Blickt man abends dann auf den Arbeitstag zurück, dann denkt man sich: Was habe ich heute bloß geschafft?

Eigentlich ist der Begriff „Sondieren“ nichts Neues. Den gab es im Allgäu schon immer. Sondieren heißt bei uns „Stieren“. Ein „Stierer“ ist ein Mensch, der zwar beschäftigt ist, aber dennoch nichts fertig bringt. In jedem Ort gibt es Stierer. Größere und Kleinere. Damit meine ich nicht die körperliche Gestalt, sondern die Intensität, mit der die Betreffenden stieren. Ich persönlich zähle mich zu den eher kleinen, den Gelegenheitsstierern. Zu denen, die mangels vernünftiger Arbeit eine unbedeutende Kleinigkeit in Ordnung bringen, oder etwas aufräumen. Eine Unwichtigkeit, an der man schon oft vorbeigelaufen ist, und sich jedes Mal aufgeregt hat, dass das Teil immer noch defekt ist. Weitere Stierigkeiten sind die Aufträge der Ehefrau. Bei euch ist das sicherlich auch so, dass die „Dätscht du mir mal“- Aufträge der Frau meist ganz hinten auf der Agenda stehen. Wenn diese aufgeschobenen Arbeiten endlich erledigt werden, dann sind das die Momente, in denen dem Eheglück etwas nachgeholfen werden kann. Dazu eignen sich die Tage ganz besonders, an denen man sowieso nichts „gscheides“ zu tun hat.

Eines ist tröstlich und ganz gewiss: Stierer wird es immer geben. Die sterben nicht aus.

Bei der Gelegenheit sollten wir Allgäuer vielleicht ein bisschen umdenken, und unsere Stierer künftig Sondierer nennen. Das klingt viel eleganter. Die Person, die es betrifft, fühlt sich vielleicht sogar geehrt.

Ich jedenfalls sehe meinen Sondierungstag eher gelassen. Wir hatten einen strengen Sommer, es gab viel Arbeit in Haus und Hof. Wenn mal so ein Tag dazwischen ist, an dem man die Zeit nur so verplempert, dann ist das ein Tag für die Seele.